Suche
Close this search box.

«Wir waren da, in Auschwitz, und haben getanzt»

Die Schlagzeilen in den letzten Jahren waren schier unerträglich. Fast täglich erreichten uns Meldungen von Flüchtlingen, von Kriegen mit unzähligen Opfern. Menschen geboren mit Hoffnung, geblieben ist für viele nur noch die Wut im Bauch. Um zu leben, investieren sie alles, und viele verloren dabei ihr Leben.

Bei all diesen Meldungen wird es einem irgendwie gar nicht so richtig weihnachtlich zumute. Dabei ist doch die Hauptaussage in diesen Tagen: «Und Friede auf Erden». Doch der Friede kommt nicht einfach so. Der Friede ist keine App, die wir einfach mal so herunterladen können. Schön wär’s. Man stelle sich vor, die Erde könnte da mitbestimmen. Sie würde sagen: «Ich hab die Schnauze voll von den Menschen mit ihren Kriegen, mit ihrem Hass, mit ihrer Wut und Ungerechtigkeit. Und ich habe es satt, dass sie auf mir rumtrampeln und mich zerstören, als wäre ich unzerstörbar.» Aber leider gibt es diese Friedens-App nicht. Und leider hat die Erde – und ein grosser Teil der Menschheit mit ihr – keine Mitbestimmungsmöglichkeit. Der Geist des Friedens hat sie, nach menschlichem Ermessen, nie erreicht.

Menschen ohne Gott haben es schwerer, Frieden zu gestalten

Der Friede ist der Geist Gottes, so wie ihn uns Jesus vorgelebt hat. Zu Jesus würde der Satz passen, den ich kürzlich in einem Tweet gelesen habe: «Es gibt zu viele Flüchtlinge, sagen die Menschen. Es gibt zu wenige Menschen, sagen die Flüchtlinge.»

Natürlich werden die Nöte dieser Welt nicht mit solch kurzen Sätzen gelöst. Und wenn all die Beautyqueens jeweils bei den Schönheitswahlen das Wort «Weltfrieden» erwähnen, gleicht dies mehr einer Comedyshow als einem ernsthaften Beitrag zum Wohl der Menschheit. Und auch wenn wir uns über die Adventszeit einmal Zeit nehmen, die Botschaft von Weihnachten in unsere Herzen zu lassen, bedeutet dies für all die Verzweifelten herzlich wenig. Denn sie werden weiterhin über das Meer der Hoffnung nach Europa flüchten. Frauen werden weiterhin ihre Babys in sozialen Missständen gebären und bestimmt bringen die Medien bald wieder einen «Geldverschwender» in die Schlagzeilen.

Aber Resignation wäre auch nicht richtig. Trotz allem gilt es, «Friede auf Erden» anzustreben. Und der begann vor über 2000 Jahren. In Bethlehem. Maria und Josef mussten ihr Zuhause verlassen. Eine von Rom angeordnete Volkszählung zwang sie dazu. Sie waren nicht motiviert durch den heute vielgepriesenen «Pilgergeist». Sie «pilgerten» nicht freiwillig nach Bethlehem. Und wahrscheinlich hatten sie auf ihrer Wanderung nicht nur gute Gedanken. Vielleicht hatten sie auch Wut im Bauch. Vor allem, als es ihnen dann in Bethlehem ähnlich erging wie den mexikanischen Frauen kurz vor ihrer Geburt. Und bestimmt kamen sie auf ihrer Suche nach einer Bleibe für die Nacht und die Geburt des Gottessohnes an «Luxusbleiben» vorbei. «Friede auf Erden».

Gottes Friede

Der Friede, der durch Gottes Sohn erfassbar wurde, hat mehr zu bieten als die Friedensbemühungen der UNO – obwohl ich diese mit dieser Aussage nicht schmälern möchte. Es sind ernsthafte Bemühungen, in den schlimmsten Regionen der Welt menschenwürdige Zustände zu erreichen.

Trotzdem spielt der biblische Friede nochmals in einer ganz anderen Liga. Die Bibel präsentiert uns unterschiedliche Arten von Frieden. Einerseits gibt es sicher den Frieden, der einkehrt, wenn kriegerische Auseinandersetzungen beendet sind. Doch der Friede im biblischen Sinn ist ganzheitlicher, umfassender und schliesst die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens ein. Dazu gehören: Das Leben fördern und unterstützen, die psychische und physische Gesundheit, das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Und die Bibel fordert uns auf, soweit wie möglich «dem Frieden nachzujagen». Auch die soziale Gerechtigkeit ist ein wesentlicher Aspekt im biblischen Frieden.

Doch so sehr wir uns um Frieden bemühen, den wirklichen Frieden schenkt uns in erster Linie Gott. Ich denke da zum Beispiel an den aaronitischen Segen: «Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.»

In diesem Segenswunsch ist die Bitte um Frieden der Höhepunkt. Der Zustand von Frieden ist unbeschreiblich. Denn wo Friede ist, hat Negatives keinen Platz. Wo soll der Hass hin, wenn Menschen Frieden wollen. Wo sollen Vorurteile sich einnisten, wenn Menschen Gedanken des Friedens voneinander haben. Wo soll Neid Raum finden, wenn der Friede in uns nur das Beste für den Nächsten wünscht? Und wo soll eine zerstörte Vergangenheit hin, wenn der Geist des Friedens eine neue Zukunft gestalten möchte? Zuweilen findet ein neu gefundener Friede seltsame Formen, diesen auszudrücken.

«I will Survive – Dancing Auschwitz»

Vor kurzem bin ich auf YouTube auf das Video «Dancing Auschwitz» gestossen. Darin sieht man den 89-jährigen Adam Kohn, wie er mit seinen Enkelkindern tanzt. Zum Discoklassiker «I Will Survive» – in Auschwitz! Das war vor drei Jahren. Als ich mir das Video anschaute, dachte ich zuerst, das geht doch nicht. Und je länger ich hinschaute, umso feuchter wurden meine Augen. Jetzt kann ich es mir nicht mehr anschauen, ohne dass mir die Tränen kommen. Da tanzt ein Mann, der Auschwitz wirklich erlebt hat. Einer der letzten Zeitzeugen der Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges. Ein Mann, der seinen Frieden gefunden hat. Das Video bewegte mich so sehr, dass ich zu recherchieren began. Und bei 3SAT wurde ich fündig.

«Wenn mich damals jemand gefragt hätte», berichtet Adam Kohn, «ob ich 62 Jahre später mit meinen Enkelkindern hierher kommen würde – ich hätte ihm gesagt: ‹Du gehörst ins Irrenhaus. Wovon redest Du?› Aber dann war es Realität. Wir waren da, in Auschwitz, und haben getanzt.»

Der Weg dazu war eine Art Familienreise ins Ghetto

Adam Kohn besuchte gemeinsam mit seiner Familie Auschwitz, Theresienstadt und Lodz. Hier ist er aufgewachsen. Und hier kämpfte er – gemeinsam mit 230 000 anderen Juden – ums Überleben: «Als ich in Auschwitz ankam, hiess es: Aussteigen, raus aus den Viehwagons. Dann begann das Sortieren, nach links und rechts. Meine Mutter wurde aussortiert. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe», erzählt Kohn.

Und 62 Jahre später tanzt derselbe Mann vor Auschwitz. «I will survive»! Wie ist es zu dieser Idee gekommen? Kohns Tochter ist eine Künstlerin aus Tel Aviv. Im Zusammenhang mit einem Kunstprojekt sollte sie etwas zur Auseinandersetzung mit ihrer jüdischen Herkunft schaffen. «Ich dachte, wenn man an diesem traumatischen Orten tanzen würde, würde das ein sehr starkes Bild schaffen. Also überlegte ich: Wie und auf welche Musik? Und dann googelte ich nach Songs zum Thema Überleben.»

Die Meinungen zu diesem Kunstwerk gehen auseinander. Die einen nennen es eines der grössten Kunstwerke seit 1945. Andere reagieren wie ich anfänglich: «Das geht gar nicht.» Doch es geht. Und diese Familie hat Frieden gefunden. Echten Frieden. Sie haben sich versöhnt mit ihrer Geschichte und ihre Zukunft neu gestaltet. Und trotzdem haben sie ein Kunstwerk geschaffen gegen das Vergessen. Denn auch das gehört zum Frieden. Ein Spiegel-Journalist hat die Familie in Melbourne besucht. Und er schreibt über diese Begegnung, dass er genau diesen Humor und diese Lebensfreude aus dem Video bei diesen Menschen auch in ihrem Haus gefunden hat. «Ich habe selten Leute gesehen, die nach allem, was sie erlebt haben, so fröhlich sind. Die beiden Alten sind grossartig, die geniessen das Leben.»

Für mich ist dieses Video zu einer Weihnachtsgeschichte geworden – mit einer der wichtigsten Botschaften überhaupt: Dem Leben Frieden geben – an Weihnachten!

 

Text + Fotografie © Verena Birchler

Weitere Artikel

Brücke Zypern Wasser

Wer war eigentlich J.R.R. Tolkien?

Wer kennt ihn nicht, John Ronald Reuel Tolkien, den Vater der Fantasy-Serie «Herr der Ringe» oder «Der Hobbit». Diese Bücher sind stark vom christlichen Glauben inspiriert – und von der Schweiz. Denn die Figur des «Gandalf, der Graue» hat Tolkien für sich auf einer Wanderung durch die Schweiz entdeckt.

Artikel lesen …
Sonnenuntergang Bird

Wer war eigentlich Florence Nightingale?

Die junge Britin aus wohlhabendem Haus ging ihren Eltern wohl sehr auf die Nerven. Denn diese gehörten zu den Privilegierten während der Zeit der Industrialisierung. Sie waren gebildet und wohlhabend genug, um die Welt zu bereisen. So kam Florence auch zu ihrem Namen. Da sie in Florenz zur Welt kam, wurde sie kurzum auf den Namen Florence getauft.

Artikel lesen …